
"Vaccines for Peace" (VFP) war eines meiner wichtigsten Projekte. Ich habe mich mehr als ein halbes Jahrzehnt damit beschäftigt und dafür weltweit recherchiert und argumentiert.
Aber VFP ist leider gescheitert, vor allem weil Politiker und Militärs der Großmächte auf dem "Recht auf nationale Selbstverteidigung" bestehen. Noch im Oktober 2021 bestätigte die Parlamentarischen Versammlung der NATO einen Bericht über BIOLOGICAL THREATS: TECHNOLOGICAL PROGRESS AND THE SPECTRE OF BIOTERRORISM IN THE POST-COVID-19 ERA, in dem es heißt: „Ultimately, however, the protection against the malicious use of biological agents is a national responsibility.”
Aber wie Corona- und Affenpockenviren nehmen auch "echte" biologische Kampfmittel keine Rücksicht auf Ländergrenzen. Terroristen meist auch nicht.
Deshalb ist dieses "Recht" erneut zu hinterfragen. Zudem ist VFP aktueller denn je. Nach Covid 19 taucht eine neue gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite auf. Das Mpox-Virus breitet sich seit Anfang 2023 vor allem in Zentralafrika immer mehr aus. Die Direktorin des Zentrums für neu auftretende Viruserkrankungen in Genf Isabella Eckerle sagte dazu dem SPIEGEL:

Das Projekt basiert vor allem auf zwei Grundlagen, auf den Ergebnissen meiner historischen Recherchen sowie meiner direkten Mitbeteiligung an den internationalen Bemühungen zur Stärkung der Biowaffen-Konvention.
Hundert Jahre lang wurden biologische Kampfmittel als – mehr oder weniger große – Bedrohung angesehen. Das löste entsprechende Schutzvorkehrungen aus. Aber die sind heikel, denn sie liefern offensives Potential. Das wussten Deutsche schon lange. (Andere sicher auch.) Bereits 1924 erkannte der Chef der Inspektion der Artillerie, ein Major Auer, die Vorbereitung der Schutzmöglichkeiten setze „auch die Kenntnis und Erforschung der Wege voraus, die ein vom Bazillenkrieg aktiv Gebrauch machender Feind mit Erfolg einschlagen kann und wird“. Zwanzig Jahre später wurde dazu im "Blitz-ableiterkomitee" und im Wehrmacht-führungsstab festgestellt: „Man muss sich einmal selbst angreifen, um die Schutzmaßnahmen richtig beurteilen zu können“.

Trotzdem wurde das bei den Ende der 1960er begonnen Verhandlungen über das „Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und Toxin-Waffen und über deren Vernichtung“ nicht ausreichend berücksichtigt. Potentiell als Bio- oder Toxin-Waffe einsetzbare Keime oder Substanzen dürfen von Partnerstaaten dieser Biowaffenkonvention (BWC) produziert, bearbeitet und/oder gelagert werden, wenn dies „prophylaktischen, protektiven oder anderen friedlichen Zwecken dient“, der Herstellung von Impfstoffen zum Beispiel.
Aber Impfstoffe gegen DTA haben eine "quadruple capability". Sie können für vier zum Teil völlig unterschiedliche Zwecke entwickelt und genutzt werden, und zwar:
* um Zivilisten und Militärs vor natürlichen Infektionen und Intoxinationen zu schützen.
* um Militärangehörige in konventionellen oder anderen nicht-biologischen Kriegen vor Krankheiten zu schützen die durch
DTAs ausgelöst werden.
* um vor einem biologischen Angriff zu schützen (sofern zuvor bekannt wird, welches Kampfmittel der Gegner einsetzt).
* um “biological first-strike capability” zu entwickeln, indem die eigenen Kräfte gegen ein Kampfmittel immunisiert werden,
dessen Einsatz man plant.
Darüber hinaus handelt es sich bei Entwicklung und Produktion von Impfstoffen um „dual-use-Aktivitäten“, ausgeführt mittels dual-use-Kenntnissen, -Technologien und -Ausrüstungen. Das gilt vor allem für Vakzinen, die auf der Nutzung von Vektoren beruhen:

Ein und dieselbe Verfahrenstechnik kann der Entwicklung von Impfstoffen oder von Kampf-mitteln dienen. Die können beispielsweise durch Einbau zusätzlicher Toxin-Gene noch wirksamer gemacht werden. Mit gentechnischen Methoden ist das möglich – ironischerweise seit der Zeit, als die Biowaffenkonvention vereinbart worden ist.
Darauf habe ich frühzeitig in Wort und Schrift hingewiesen, unter anderem auch in der Zeitschrift Wissenschaft und Fortschritt. LINK. Das wurde auch „im Westen“ registriert. Und ich wurde vom Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut SIPRI zur Mitarbeit als Konsultant für biologische Waffen gebeten.


Im 1984er SIPRI Jahrbuch erscheint mein Artikel „Impli-cations of genetic engineering for chemical and biological warfare“. Wieder weise ich u.a. auf die Schwachstellen der BWC hin und schlage Maßnahmen vor „to restrict poten-tial misuse of the permission given in the Convention to develop, produce and stockpile BW and TW agents for ‚prophylactic, protective and other peaceful purposes‘“.
Ein Jahr später veröffentlicht der Rowohlt Taschenbuch Verlag „im Westen“ eine - gekürzte – deutsche Ausgabe des 1985er SIPRI Jahrbuches, druckt darin aber auch eine Übersetzung meines Artikels nach und nimmt dessen Hauptthema als Titel für das gesamte Buch: Gentechnik als Waffe. Bedauerlicherweise verzichten die Herausgeber auf die Wiedergabe meiner Schlussfolgerungen. Eine Stärkung der Konvention war ihnen nicht wichtig.

Die weitgehend unter Kontrolle der SED stehende URANIA dagegen, deren Zentrale Sektion Biologie ich seit 1971 leitete, hat dagegen keine Einwände, in ihrer Schriftenreihe für den Referenten eine komplette Übersetzung des Artikels zu veröffentlichen, mit den abschließenden Forderungen nach mehr Transparenz.

Ein Jahr später gebe ich meine aktuelle Analyse Biological and Toxin Weapons today als Background-Material für die Überprüfungskonferenz zur BWC heraus. SIPRI-Direktor Frank Blackaby und ich stellen es zu Konferenzbeginn in Genf den Diplomaten und der Presse vor. Im Schlusskapitel wird vom Autorenteam erneut auf die Schwachstellen der Konvention hingewiesen. Wir Autoren zeigten uns insbesondere besorgt darüber, dass Impfstoffprogramme betrieben werden könnten “for the protection of ist own troops from BW or TW agents which the military itself intends to use“. Deshalb sollten solche Aktivitäten künftig gemeldet werden.

Die Konferenz greift das allerdings nicht auf, beschließt lediglich einige „vertrauensbildende Maßnahmen“ vorbereiten zu lassen. Die entsprechenden Modalitäten sollen auf einer Expertenkonferenz im April 1987 vereinbart werden. Ich werde von Außenministerium und Akademieleitung beauftragt, mit einer von mir ausgewählten Arbeitsgruppe das Positionspapier der DDR für die Konferenz vorzubereiten. Unter anderen schlagen wir vor, „Informationen über Vakzine-Entwicklungen sowie über Vakzinierungsprogramme, speziell durch die Streitkräfte“, auszutauschen. Das Ministerium für Nationale Verteidigung stimmt nicht zu, das Hauptproblem wird aus dem Positionspapier gestrichen.

Im April 1987 nehme ich an dem als offizieller Vertreter der DDR teil. Ich stehe zwischen Baum und Borke: Sollte ich meinem Gewissen folgen und auf eigene Faust vorschlagen, militärische Impfstoffprogramme sollten transparent durchgeführt und es sollte darüber Mitteilung gemacht werden? Das hätte das Ende meiner Karriere und meiner Einflussmöglichkeiten bedeutet.
Ich war gerade wenige Wochen vorher auf meinem Wunsch als Leiter der Abteilung Virologie des Zentralinstituts für Molekularbiologie entpflichtet worden, um mich ganz meinen Abrüstungs-aktivitäten widmen zu können. Oder sollte ich mich an die staatliche Direktive halten.
Zum Glück wurde ich noch rechtzeitig aus dem Dilemma erlöst: Die Delegationen Irlands und Österreichs nahmen mir meine Gewissensentscheidung ab und schlugen den Austausch von Informationen über militärische Vakzineaktivitäten vor. Die Vertreter der Sowjetunion, aber auch der NATO-Staaten, waren sofort dagegen.
Im Januar 1989 nehme ich an der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Sciences in San Francisco teil. Gemeinsam mit dem Kommandeur von USAMRIID Oberst David Huxoll bestreite ich eine Podiumsdiskussion über Biowaffen. Huxoll berichtete, in seinem Institut würden unter anderem Impfstoffe gegen exotische Krankheitserreger entwickelt, weil die pharmazeutische Industrie daran nicht interessiert sei. Trotzdem brauche man solche Vakzinen, für Zivilbeschäftige, die im Ausland Dienst tun, und auch für Militärangehörige.

Das pflanzt in mir den Keim für ein interna-tionales transparentes Impfstoff- Projekt. Während einer anschließenden vierwöchigen Vortragstour queer durch die USA kann ich meine Vorstellungen präzisieren. Auf der Jahrestagung des NGO-Komitees für Abrüstung habe ich in Gegenwart des stellvertretenden Generalsekretärs der Vereinten Nationen Asushi Akashi zum ersten Mal Gelegenheit, das in Entstehung befindliche Projekt vorzustellen. Ein paar Tage später erscheint dazu ein Interview mit mir in GeneWatch.

Im September 1990, zwei Wochen vor dem Beitritt der DDR zur BRD, veranstalten wir – diesmal mit Unterstützung durch die Volkswagen-Stiftung - wieder ein internationales Kühlungsborner Kolloquium. Ein Jahr vor der nächsten Überprüfungskonferenz zur BWC geht es um Prevention of a Biological and Toxin Arms Race and the Responsibility of Scientists. Ich zitierte Nobelpreisträger Joshua Lederberg, einen der Gründerväter der Molekularbiologie, der
das State Department gewarnt hatte, „eine erhöhte Schutzfähigkeit könnte dazu verleiten, biologisch Krieg zu führen, da der Anwender ein vermindertes Risiko eingeht, den eigenen Waffen zum Opfer zu fallen“. Die Teilnehmer des Kolloquiums teilten diese Bedenken und schlugen der bevorstehenden Konferenz unter anderem vor: „Alle einschlägigen Arbeiten sollten in völliger Offenheit durchgeführt werden, vorzugsweise in zivilen Einrichtungen und finanziert vom öffentlichen Gesundheitswesen und nicht vom Militär“.



Zur gleichen Zeit bewerbe ich mich in enger Absprache mit dem neuen SIPRI-Direktor Walther Stützle bei der Volkswagen-Stiftung um die Finanzierung des Impfstoff-Projektes. Der Wende-bedingte Wegfall meiner Arbeitsstelle stand ja unmittelbar bevor. Die Stiftung stimmte sofort zu. Und Detlev Ganten, der Gründungsdirektor des Nachfolgeinstituts der Bucher Einrichtungen war ebenfalls sofort bereit, mich nicht nur räumlich unterzubringen, sondern auch in jeder Hinsicht zu unterstützen.
Parallel dazu, im September 1991, findet in Genf die nächste Überprüfungskonferenz zur Biowaffenkonvention statt.
Als Regierungsexperte bin ich nun nicht mehr gefragt, nicht mal als Gast darf ich Ossi mich neben die Delegierten der Bundesrepublik setzen. Aber SIPRI lässt mich wieder als „Beobachter“ teilnehmen und die ausländischen Konferenzteilnehmer akzeptieren mich als Gesprächspartner, viele kannten mich ja noch von vorausgegangenen Konferenzen. Und so kann ich wenigstens vor den Vertretern der Blockfreien und Nicht-Paktgebundenen Staaten meine Pläne vortragen. Und stoße auf breite Zustimmung.
Der Peruanische Minister Felix Calderon stellt sie am 12. September ausführlich im Plenum vor, und das hat zur Folge, da mein Vorhaben sogar in der Abschlusserklärung der Konferenz explizit unterstützt wird:



Ein Jahr später, im August 1992, konnte ich meinen nun weitgehend ausgereiften Vorschlag – nun unter dem Titel „Vaccines for Peace“ – in Politics and the Life Sciences veröffentlichen. Wie aus der Zusammenfassung hervorgeht beinhaltet das Programm folgende Schwerpunkte:
"This article recommends establishment of an international Vaccines for Peace (VFP) program to undertake research on and production of vaccines against pathogens (and possibly toxins) that pose natural health threats and that are also putative biological (and toxin) weapons. Vaccines for Peace is designed to contribute to health care in developing countries, enhance international cooperation in biotechnology, and reduce the danger of weapons proliferation. Vaccine development would be carried out openly and would involve scientists from developing countries that are States Parties to the Biological Weapons Convention, as well as personnel and facilities from the former Soviet Union. The program would thus help convert biological defense personnel and facilities to peaceful purposes. The program would be administered by the World Health Organization."
Unter dem Dach der WHO globale Kooperation bei der Entwicklung, Produktion, Lagerung und Verteilung von Impfstoffen gegen Dual-threat agents, mögen sie natürlich aufgetreten oder durch militärische oder terroristische Aktionen verbreitet worden sein. Bisherige Vakzine-Aktivitäten des Militärs werden komplett in das Programm einbezogen. Teilnahmeberechtigt sind nur Staaten, die auch Partnerstaaten der Biowaffenkonvention sind. Dadurch wir die Attraktivität der Konvention erhöht, insbesondere für kleinere Staaten. Durch das Programm wird erheblich zur Implementierung von Artikel X der BWC beigetragen, der eine Stärkung der friedlichen Zusammenarbeit in der DTA-Forschung entwickelter mit Entwicklungsstaaten fordert. Das Programm würde die Konversion militärischer Einrichtungen ermöglichen und Mißtrauen bzgl militärischer Programme ausräumen.

Eric P Bucy, der Herausgeber der Zeitschrift, brachte mich in dem Zusammenhang auf die Idee, für potentielle biologische und Toxin-Kampfmittel den Begriff „dual-threat agents“, DTAs, einzuführen. Ich hatte in meinem Artikel von „dual-use agents“ geschrieben, Bucy meinte, das sei nicht korrekt, “Mutter Natur mache ja keinen Gebrauch von diesen Erregern“.
Einen Monat später konnten wir – in stark veränderter Fortführung der Kühlungsborner Kolloquien als neue Reihe von Expertengesprächen – in Biesenthal bei Berlin über die Umsetzung von VFP beraten. Diesmal nahmen sogar einflussreiche russische Experten an den Beratungen teil. Allerdings schimmerten dabei schon wieder NATO-Bedenken bezüglich dem Recht auf nationale Sicherheit Selbst wenn es zu einem entsprechenden Programm gekommen wäre: es hätte sowohl auf eine vollständige Beteiligung aller militärischen Vakzineprogramme verzichten müssen als auch auf eine Einbeziehung der involvierten Einrichtungen. Auf einer weiteren Tagung, diesmal auf der idyllischen Ostseeinsel Vilm, einigten wir uns auf ein Minimalprogramm: „ProCEED – Program of Controlling Emerging Infectious Diseases“ – aber dessen Verfolgung entsprach überhaupt nicht mehr meinen ursprünglichen Intentionen und ich wandte mich – wieder mit Unterstützung von Max-Delbrück-Centrum und Volkswagen-Stiftung – neuen Ufern vor, der Geschichte der biologischen Kriegsführung.